Nicht nur bei der Tierwohl-Haltungsform Stufe 4, auch bei der Umstellung auf eine ökologische Milcherzeugung ist es Pflicht, Kühe weiden zu lassen. Aber vielen Milcherzeugern fehlt die Erfahrung, da oft schon seit Jahrzehnten nicht mehr geweidet wurde. Doch nur bei professioneller Weideführung können die Kühe adäquat versorgt, Futterkosten und Arbeit eingespart werden.
Wie viel Weide ist notwendig?
Als ersten Schritt sollte man sich über die Flächen (Zuteilung) Gedanken machen. Hierbei spielen die Nähe zum Stall, Böden sowie eventuell vorhandene Treibwege eine Rolle. Die vorhandenen Weideflächen bestimmen darüber, wie viel bzw. ob zugefüttert werden muss und ob Voll- oder Halbstagsweide Sinn machen.
Pro Hektar Weide können bei Vollweide (Ertrag ca. 70 bis 80 dt/ha) ca. drei Kühe im Mittel der Vegetationsperiode ausreichend versorgt werden. Um das tatsächliche Ertragspotenzial zu bestimmen, muss der mittlere Graszuwachs/Tag über den Vegetationsverlauf bekannt sein.
Kombiniert man Vollweide mit einer Herbst-/Winterabkalbung kann der Weideaufwuchs optimal genutzt und Futter-, Energiekosten sowie Arbeitszeit reduziert werden.
Eine Kuh frisst unter Vollweidebedingungen (max. 10 % Trockenmasse aus Grobfutterration im Stall) etwa 15 bis 17 kg TM pro Tag. Je nach Region und Intensität der Düngung wachsen im Frühjahr 70 bis 100 kg TM je ha/Tag. Im Verlauf des Sommers gehen die täglichen Zuwächse auf 45 bis 60 kg zurück. Dementsprechend kann der Tierbesatz gewählt werden. Im Frühjahr z. B. fünf bis sieben Kühe/ha, im Verlauf des Sommers drei bis vier Kühe/ha und im Herbst wird eventuell eine Zufütterung nötig. Steht nicht ausreichend arrondierte Fläche zur Verfügung, muss entsprechend zugefüttert werden.
Geringerer Arbeitsaufwand
Die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) Grub empfiehlt die Beweidung des Aufwuchses im Drei-Blattstadium. Um dies zu erreichen, sollte die Aufwuchshöhe etwa 5 bis 7 cm (inkl. Geilstellen) betragen. Dadurch wird eine Stängelbildung weitgehend verhindert und die Pflanzen verfügen über eine hohe Verdaulichkeit, was sich in hohen Energiegehalten von 6,5 bis über 7,0 MJ NEL/kg TM widerspiegelt. Die Beweidung kann als Umtriebs- oder als Standweide umgesetzt werden. Die Kurzrasenweide als Standweide verbindet die Anforderungen an die Weide am besten. Dies wären dichte, trittfeste Grasnarben, Unkrautunterdrückung, minimale Futterverluste, gleichmäßige Futterqualität und geringer Arbeitsaufwand.
Werden die Aufwüchse in einem höheren Stadium beweidet, reduziert sich die Narbendichte, die Futterqualität schwankt und die Weidereste steigen. Außerdem fressen die Kühe bei höheren Beständen deutlich hastiger, was zu einer höheren Blähgefahr führen kann.
Umstellung: Erst das Jungvieh
Kühe, die zeitlebens im Stall versorgt wurden, können zunächst nicht weiden. Sie müssen es erst mühsam erlernen! Dabei werden sich in den Herden immer einige (ältere) Kühe befinden, welche die Umstellung nicht mehr befriedigend schaffen.
Kleine Kälber erlernen das Grasen hingegen in wenigen Stunden. Je älter das Jungvieh wird, um so mehr Tage benötigt es. Kälber ab dem 5. Lebensmonat sollten grundsätzlich unter Vollweidebedingungen gehalten werden, um sie zu guten, aggressiven Graserinnen zu erziehen. Deshalb ist die Empfehlung, im ersten Umstellungsjahr das gesamte Jungvieh auf die geplante Kuhweide zu treiben. Denn so hat man in den Folgejahren nach dem Abkalben bereits einen Teil weidegewohnter Kühe.
Was Kälbchen nicht lernt, lernt Kuh nimmermehr
Siegfried Steinberger
Die Grasnarbe im Blick
Die Weide soll über die gesamte Weidesaison hohe Futterqualitäten liefern. Damit sich hohe Futterqualitäten realisieren lassen, ist es im nächsten Schritt wichtig, sich den Grasbeständen zu widmen. Denn die Zusammensetzung der Bestände eignet sich nach jahrelanger Schnittnutzung in der Regel nur begrenzt für Weidehaltung.
Wenn Rinder auf die Weide gehen, müssen sie richtig mit Mineralstoffen versorgt werden. Futteranalysen vom Gras helfen, das passende Mineralfutter zu finden.
Auf schnittgenutzten Wiesen dominieren oftmals horstbildende Obergräser. Auch das Deutsche Weidelgras neigt dabei mehr zu horstartigem Wachstum. Eine Nachsaat von dt. Weidelgras ist zu überdenken. Untersuchungen der LfL haben gezeigt, dass vor allem diploide Sorten bei intensiver Weidehaltung ausdauernder sind. Vor allem eine Übersaat von Wiesenrispe ist in der Regel empfehlenswert.
Um dichte, tragfähige Grasnarben zu erhalten, ist es wichtig, die Beweidung bei Vegetationsbeginn zu starten. Durch den frühen Verbiss und den ständigen Tritt werden die Gräser in der ersten Jahreshälfte zur Bestockung angeregt. Vor allem ausläufertreibende Arten wie Deutsches Weidelgras, Wiesenrispe und Weißklee werden gefördert.
Bei der frühen Beweidung entstehen zudem genau dort Trittschäden, wo bisher gemeine Rispe oder Ampfer waren. Diese Trittschäden (Löcher im Bestand) lassen sich dann nachsäen. Als Nachsaat sind diploide Weidelgräser, Wiesenrispe und Weißkleesorten (blausäurearm) zu empfehlen.
Treibewege und Co.
Damit das Weiden nicht zur Arbeitsfalle wird und die Kühe optimal versorgt sind, muss man der oft nicht mehr vorhandenen Infrastruktur ein besonderes Augenmerk schenken. So müssen die Weiden hütesicher sein und versicherungstechnischen Anforderungen gerecht werden. Ein Zaun sollte nach der Richtlinie VDE 0131 „Errichtung und Betrieb von Elektrozaunanlagen“ installiert werden. Hierin sind die Anforderungen an den Zaunbau in Abhängigkeit vom Gefahrenbereich definiert.
Trockensteher auf die Weide?
Weide für Trockensteher wird oft kritisch bewertet. Denn die notwendige Nährstoffversorgung, gerade die Strukturversorgung im Herbst, kann kaum umgesetzt werden. Weidehaltung in der Frühtrockenstehphase sollte eine Anfütterung (TMR) von ca. drei Wochen vor dem Abkalben folgen. Somit können Folgen wie Ketose oder Gebärparese vermieden werden. Vor allem wenn mit der Weide begonnen wird, bedarf dies einer guten Tierbeobachtung, denn grasen muss erlernt werden. Und diese Tiere können oft nicht die nötigen Futteraufnahmen in der Trockenstehzeit realisieren. Ein Kompromiss könnte eine Auslaufweide mit Zufütterung einer Trockensteherration sein. Dr. Heinz Janowitz
Neben der Umzäunung sind die Treibwege entscheidend. Laufen die Kühe geschlossen im Herdenverbund, sollte ein 3 bis 4 m breiter, befestigter Haupttreibweg vorhanden sein. So können bis zu drei Kühe nebeneinander laufen. Um ein gleichmäßiges Abweiden zu fördern, sollten ausreichend Tränken dezentral, also nicht am Rand oder im Weideeingang installiert werden. Die Tränken sollten stationär und von allen Seiten zugänglich und in einem Abstand von maximal 300 m voneinander aufgestellt sein. Bewährt haben sich eine Tränke pro zwei bis drei Hektar Weide.
Ab auf die Weide!
Alles ist eingerichtet, die Infrastruktur passt. Doch bevor man die Kühe auf die Weide lässt, sollte man Zeit für die Eingewöhnung einplanen. Die Anlage einer Anlernweide ist dringend zu empfehlen. Dabei wird eine kleine Weide z. B. mit einem Holzzaun (sichtbare Begrenzung) eingezäunt. Innen läuft dann der Stromzaun, an den die Tiere sich gewöhnen müssen.
Je älter die Tiere sind, desto schwieriger und arbeitsaufwendiger wird die Gewöhnung an Weide. Junge Tiere arrangieren sich schnell, innerhalb weniger Stunden, mit dem stromführenden Zaun. In dieser Zeit müssen die Tiere sehr intensiv begleitet/beobachtet werden.
Ältere Rinder und Kühe benötigen deutlich mehr Zeit für die Anpassung. Dabei spielt nicht nur der Zaun, auch die Witterung und der weiche Boden eine Rolle. Kannten die Kühe z. B. schon einen Laufhof, sind Sonne, Wind und Regen bereits eine Gewohnheit, dann verläuft der Einstieg in die Weide sicherlich reibungsloser.
Fütterung im Stall anpassen
Das meiste Fingerspitzengefühl bei der Umstellung benötigt man bei der Fütterung zur Weide. Gerade die Futterumstellung zu Beginn und Ende der Saison sowie eine bedarfsgerechte, konstante Nährstoffversorgung bedarf einer Planung.
Es gibt keine perfekte Weide-Genetik, weil Kühe sich immer an ein Weidesystem anpassen müssen. An der Weidetauglichkeit muss daher bei allen stetig gearbeitet werden.
Damit die Kühe sich von einer stärkereichen Stallration an das leicht verdauliche Gras im Frühjahr gewöhnen können, sollte eine schonende Futterumstellung erfolgen. Deshalb auch die Empfehlung, zu Vegetationsbeginn auszutreiben, da zu diesem Zeitpunkt noch wenig Weideaufwuchs gefressen werden kann. Mit zunehmendem Graswachstum kann der Weideanteil erhöht und gleichzeitig die TMR im Stall reduziert werden. Nach zwei bis drei Wochen kann die Zufütterung im Stall eingestellt und auf Vollweide umgestellt werden.
Bei der Halbtagsweide sollten die Kühe im Sommer nachts auf die Weide. Zugefüttert wird morgens im Stall. Dabei wird den Kühen so viel Futter vorgelegt, dass es in den frühen Nachmittagsstunden aufgefressen ist. Dann haben die Kühe nach der Abendmelkzeit ausreichend Hunger, um nachts zu weiden. Je nach Grasaufwuchs (zucker- oder eiweißreich) muss auch die Ration (Komponentenauswahl) angepasst werden.
Kühe verändern sich
Mit zunehmenden Weideanteil bis hin zur Vollweide wird es schwieriger, den Ansprüchen der Hochleistungskühe gerecht zu werden. Aus diesem Grunde empfiehlt die LfL bei hohem Weideanteil eine Herbst-/ Winterkalbung. So können Hochleistungskühe in den ersten Laktationsmonaten leistungsgerecht im Stall versorgt werden. Natürlich wird in den ersten Jahren nach der Weideeinführung die vorhandene Genetik eingesetzt. Dennoch macht es langfristig Sinn auf mittelrahmige Kühe mit sehr guten Fundamenten zu setzen. Hinsichtlich Fruchtbarkeit haben Fleckviehtiere und Jerseys Vorteile. Auch die Einkreuzung von Neuseelandgenetik hat sich auf Pilotbetrieben bewährt.
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